Strafprozessordnung: Bundesrat setzt Änderungen per 1. Januar 2024 in Kraft

Die vom Parlament im Juni 2022 beschlossenen Änderungen der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) treten auf den 1. Januar 2024 in Kraft. Unter anderem sollen mit der Revision die Rechte der Opfer und der Geschädigten verbessert werden:

  • Unentgeltliche Zustellung des Urteils: Dem Opfer wird neu – ungeachtet einer Beteiligung als Privatklägerschaft – das Urteil oder der Strafbefehl gegen den Täter unentgeltlich zugestellt (Art. 117 Abs. 1 Bst. g nStPO). Ob dieses Recht auch die Zustellung einer Einstellungsverfügung mitumfasst, wird die Praxis zu klären haben.
  • Unentgeltliche Rechtspflege: Die unentgeltliche Rechtspflege wird den Privatklägern neu auch für die ausschliessliche Durchsetzung der Strafklage gewährt (Art. 136 Abs. 1 Bst. b nStPO). Bislang wurde die Geltendmachung einer Zivilforderung vorausgesetzt. Zwingend erforderlich für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege bleibt jedoch weiterhin, dass das Opfer respektive die Privatklägerschaft nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt.
  • Zivilforderungen im Strafbefehl: Ferner kann die Staatsanwaltschaft neu auch im Rahmen eines Strafbefehls über Zivilforderungen der Privatklägerschaft von bis zu CHF 30’000 entscheiden, wenn der Beschuldigte diese anerkennt und keine zusätzlichen Beweiserhebungen notwendig sind (Art. 353 Abs. 2 nStPO).

    Der zusätzliche Opferschutz ist positiv zu werten. Insbesondere der Umstand, dass den Opfern von Amtes wegen das Urteil oder der Strafbefehl gegen die Täterschaft zugestellt wird, auch wenn sich diese nicht als Privatkläger am Strafverfahren beteiligt haben, ist als effektive Verbesserung der Opferrechte zu betrachten. Unseres Erachtens zwingend erforderlich ist jedoch, dass dieses Recht auch eine allfällige Einstellungsverfügung mitumfasst. Demgegenüber erachten wir die Situation bezüglich der Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands für Opfer weiterhin als ausserordentlich unbefriedigend. So bekommt beispielsweise auch nach revidierter Strafprozessordnung der Täter bei einem Vergewaltigungsfall von Amtes wegen einen Verteidiger zur Seite gestellt. Das Opfer muss demgegenüber bei ausreichenden finanziellen Mitteln (in casu Existenzminimum plus 10%) den Anwalt selbst bezahlen oder aber den psychisch und rechtlich schwierigen Weg des Strafprozesses ohne Rechtsbeistand durchlaufen. Die Staatsanwaltschaft ist mit der Untersuchung des Verfahrens beschäftigt und die Verteidigung versucht so gut als möglich die Interessen der beschuldigten Person wahrzunehmen, was leider nicht selten gar zu einer Art «victim blaming» führt. In solchen Fällen ist es besonders wichtig, dass ein Rechtsbeistand den Opfern zur Seite steht, die Verfahrensschritte und rechtlichen Möglichkeiten erklärt, Zivilforderungen substantiiert geltend macht oder aber auch ein Gesuch um Akteneinsicht stellt, damit die Opfer ebenfalls Kenntnisse über den Stand der Ermittlungen erhalten. Und doch wurde es leider seitens des Gesetzgebers verpasst, zumindest für besonders gravierende Fälle, eine Ausnahmeregelung vorzusehen. Das Opfer trägt somit auch weiterhin, gerade bei Sexualdelikten, welche praxisgemäss grosse Beweisschwierigkeiten mit sich bringen, ein hohes finanzielles Risiko oder sieht sich einem Waffenungleichgewicht im Prozess ausgesetzt.

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