Neues Pflichtteilsrecht

Vorbemerkung

Am 1. Januar 2023 ist eine Revision des Erbrechts in Kraft getreten. Dabei wurden insbesondere auch die Pflichtteile angepasst. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Neuerungen im Pflichtteilsrecht und versorgt Sie mit praktischen Tipps.

Allgemeines zum Pflichtteil

Die Pflichtteile bilden jene Teile des Vermögens, die den pflichtteilsberechtigten Erbinnen und Erben nicht entzogen werden können. Der Erblasser bzw. die Erblasserin hat den Pflichtteil in einem Testament oder in einem Erbvertrag entsprechend stets zu berücksichtigen (vgl. Art. 470 Abs. 1 ZGB).

Die Pflichtteile betragen immer einen gewissen Prozentsatz des gesetzlichen Erbanteils. Der gesetzliche Erbanteil ist jener Teil der Erbmasse, der einem Erben oder einer Erbin zustehen würde, wenn keine Testamente oder Erbverträge vorliegen. Die gesetzlichen Erbanteile ergeben sich aus den Art. 457 – Art. 466 ZGB. Der Teil der Erbmasse, der nicht durch Pflichtteile geschützt ist, bezeichnet man als «Verfügbare Quote». Über die Aufteilung der verfügbaren Quote kann der Erblasser oder die Erblasserin mittels Testament oder Erbvertrag frei bestimmen.

Da die bisherige Regelung zu den Pflichtteilen einen relativ starken Eingriff in die Verfügungsfreiheit der Erblasserin bzw. des Erblassers darstellte, wurde beschlossen, die verschiedenen Pflichtteile zu reduzieren oder gleich ganz aufzuheben. Dies soll die Entscheidungsautonomie der Erblasserin oder des Erblassers stärken. In den nächsten Abschnitten werden diese Änderungen im Detail erläutert.

Pflichtteile der Eltern

Alte Regelung

Bisher betrug der Pflichtteil für jeden Elternteil jeweils die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Wenn Nachkommen vorhanden waren, stand den Eltern kein Pflichtteil zu, da sie in diesem Fall keine Erbenstellung hatten.

Neue Regelung

Die Pflichtteile der Eltern sind mit der neuen Regelung nun vollständig aufgehoben (vgl. Art. 470 Abs. 1 i.V.m. Art. 471  ZGB). Dadurch ist es nun insbesondere möglich der faktischen Lebenspartnerin bzw. dem faktischen Lebenspartner einen grösseren Betrag zuzuwenden.

Weiterhin gilt, dass den Eltern keine Erbenstellung zukommt, wenn Nachkommen vorhanden sind (vgl. Art. 458 Abs. 1 ZGB).

Die Schweiz folgt damit einem internationalen Trend, in vielen ausländischen Rechtsordnungen sind die Eltern nämlich ebenfalls nicht pflichtteilsberechtigt.

Pflichtteile der Nachkommen

Alte Regelung

Bisher betrug der Pflichtteil der Nachkommen drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs. Dies hatte zur Folge, dass der Erblasser bzw. die Erblasserin über einen beträchtlichen Teil des Nachlasses nicht verfügen konnte. Im Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen handelte es sich dabei um einen sehr hohen Pflichtteil.

Neue Regelung

Neu betragen die Pflichtteile nur noch jeweils die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs (Art. 471 i.V.m. Art. 470 Abs. 1 ZGB). Die Reduktion wurde unter anderem damit begründet, dass Nachkommen meist zu einem Zeitpunkt erben, in dem sie bereits eine eigene wirtschaftliche Existenz aufgebaut haben und deshalb nicht mehr auf die Erbschaft angewiesen sind.

Pflichtteile der Ehegatten und der eingetragenen Partner:innen

Sowohl in der alten Regelung als auch in der neuen Regelung betragen die Pflichtteile der Ehegatten und der eingetragenen Partner bzw. Partnerinnen jeweils die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs (Art. 471  i.V.m. Art. 470 Abs. 1 ZGB).

Hier wurde auf eine Reduktion des Pflichtteils verzichtet, da dies im Widerspruch zum Grundsatz der ehelichen Solidarität, wonach die überlebende Ehegattin bzw. der überlebende Ehegatte seinen bisherigen Lebensstandard nach dem Tod des Erblassers oder der Erblasserin beibehalten können sollte, stehen würde.

Fallbeispiel zur neuen Regelung

Frau X möchte ein Testament verfassen. Ihre Erbmasse beläuft sich auf CHF 100’000.00. Als Erben wird sie voraussichtlich ihren Ehemann und die zwei gemeinsamen Kinder hinterlassen.

Der gesetzliche Erbanteil des Ehemannes beträgt gemäss Art. 462 Ziff. 1 ZGB die Hälfte der Erbschaft, also CHF 50’000.00. Der gesetzliche Erbanteil der beiden Kinder beträgt die Hälfte der Hälfte bzw. einen Viertel, also CHF 25’000.00 (Art. 462 Ziff. 1 i.V.m. Art. 457 Abs. 2 ZGB).

Der Pflichtteil des Ehemanns beträgt, wie bisher, die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils und beläuft sich demnach auf CHF 25’000. Die Pflichtteile der beiden Kinder betragen nun neu ebenfalls die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils. Er beläuft sich demnach für beide Kinder auf je CHF 12’500.00. Gemäss altem Recht hätten die Kinder noch einen Pflichtteilsanspruch von CHF 18’750.00 gehabt (drei Viertel von CHF 25’000.00).

Von den CHF 100’000.00 ist somit ein Betrag von CHF 50’000.00 pflichtteilsgeschützt. Über die restlichen CHF 50’000.00 kann Frau X in ihrem Testament also frei verfügen. Gemäss altem Recht wären CHF 62’500 pflichtteilsgeschützt gewesen. Mit der neuen Regelung kann Frau X also zusätzlich über CHF 12’500.00 frei verfügen.

Variante: Frau X hat keinen Ehemann und keine Nachkommen. Als Erben wird sie entsprechend voraussichtlich nur ihre Eltern hinterlassen.

In dieser Variante hätte Frau X bei der Erstellung des Testaments keinerlei Pflichtteile zu berücksichtigen. Sie kann in diesem Fall also frei über ihren gesamten Nachlass verfügen. Gemäss altem Recht hätte sie nur über CHF 50’000.00 frei verfügen können, da sie die Pflichtteile der Eltern hätte berücksichtigen müssen.

Tipps

Da die neue Regelung eine grössere Freiheit für den Erblasser oder die Erblasserin bedeutet, ist es zu empfehlen, sich nochmals Gedanken über die Verteilung ihrer Erbschaft zu machen.

Falls Sie bereits ein Testament oder einen Erbvertrag aufgesetzt haben, ist es sinnvoll diese nun zu überprüfen und allenfalls an die neue Regelung anzupassen.

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